Mäßigung
Das normale Maß. Was ist das schon? Möglicherweise ist ein XXL-Becher voller Kaffee deutlich zu viel als das normale Maß. Aber wird uns das überhaupt noch bewusst? Ein Maß braucht einen Bezugspunkt. Wenn der Bezugspunkt nur das eigene Wohlgefühl ist, dann kann das auf jeden Fall sehr schnell zur Maßlosigkeit fühlen.
Die bekannten Geschichten um den Argwohn der Beobachter der ersten Autofahrer zeigen, dass wir uns sehr schnell an neue Umstände gewöhnen. Was vor mehr als 100 Jahren noch als das Ende der Menschheit gedeutet wurde, ist heute für jeden E-Biker eine vergnügliche Sache: mehr als 20 Kilometer pro Stunde zu fahren. Vom modernen Automobil ganz zu schweigen. Allein an dieser Geschichte erkennen wir, mit welchen enormen Geschwindigkeiten wir heute unterwegs sind. Der Weltrekordhalter Usian Bolt kam bei seinem Rekordlauf auf fast 45 Kilometer pro Stunde. Natürlich nur auf einer Strecke von 100 Metern. Aber was für eine Geschwindigkeit!
Es ist kein Wunder, dass sich viele Menschen mehr und mehr abgehängt vorkommen. Die Lokomotiven brausen davon und die Waggons bleiben traurig auf der Strecke. Und da von hinten schon der nächste Hochgeschwindigkeitszug herangerauscht kommt, müssen die liegengebliebenen Waggons aufs Abstellgleis rangiert werden.
Vielleicht ist es gut, wenn das Maß unserer Geschwindigkeit einmal neu ausgerichtet wird. Wenn es wieder einen natürlichen Bezugspunkt bekommt. Natürlich im Sinne von verkraftbar. Physisch und psychisch. Die Physik der Geschwindigkeit ist nach wie vor gekoppelt an Kraft, Masse und Beschleunigung. Die Psyche der Geschwindigkeit ist gekoppelt an ein besonderes Streben des Menschen nach Überlegenheit. Dieses Streben verliert schnell aus den Augen, dass jeder Mensch ein von Gott geliebtes Geschöpf ist. Ausgestattet mit vielen Talenten, die zur Entfaltung kommen sollen. Auf dem Abstellgleis ist diese Entfaltung für ganz viele Menschen einfach nicht möglich. Der springende Punkt ist, dass eine Mäßigung unserer Geschwindigkeit nicht in einer Gleichmacherei endet, sondern im Gegenteil: viel mehr Menschen als bislang erhalten eine neue Chance, ihre Talente zu entfalten und unsere Welt schöner und reicher zu machen.
